Samstag, 22. August 2020

THERE'S MORE TO LIFE THAN...

…November. Denn während diese Zeilen entstehen ist es noch Mai, der in diesem Jahr November heisst, und der grau überzogene hanseatische Himmel entlädt Fluten und Fluten von Regentropfen über einem Erdreich, das schon längst kein Wasser mehr aufnehmen kann. Es ist nicht Monsun, dafür ist es zu kalt, und statt eines erfrischenden Sommergewitters legt sich Melancholie über die Stadt.

Passend zu dieser Unjahreszeit veröffentlichte das grossartige Anticon.-Imprint mit Baths' „Obsidian“ jüngst das erste echte Herbstalbum des Jahres, das Downbeat / Backpacker HipHop, intimes IndieFolk-Feeling, Falsetto-Gesang sowie elegische Streicher und verschwebte Hintergrund-Chöre in Perfektion zusammenführt, um daraus einen höchst angenehmen Soundtrack für Kuscheldeckenabende vor dem heimischen Kaminfeuer zu formen. Selbst clubbigere Tracks wie „Miasma Sky“ mit seinem heimeligen Regentropfensampleintro brechen aus der herrschenden Intimität kaum nennenswert aus und so ergeben die zehn auf „Obsidian“ versammelten Songs in ihrer kompletten Lauflänge ein harmonisch rundes Gesamtpaket für die Plattensammlung eines der Melancholie durchaus zugetanen Menschen.

Grau und hoffnungslos, jedoch energiegeladener ist auch die Welt des Projektes N.R.F.B. a.k.a. Nuclear Raped Fuck Bomb um die beiden Masterminds Mense Reents und Jens Rachut, das mit „Trüffelbürste“ dieser Tage sein Zweitwerk in Albumform auf Major Label vorlegt. Weniger krawallig als auf ihrem Debut ist der ursprüngliche nukleare ElectroPunk ist einer gefühlten PostIndie-Attitüde gewichen, die der Resignation vor dem Alltag mit Ironie und unterschwellig versteckter Bösartigkeit in den Lyrics begegnet. Ein Song wie „Hälfte Des Gehirns“ erinnert zeitweilig an die Genialen Dilettanten des 80er Jahre Berlin während „Zoo Im Krieg“ auf wunderbare Weise fast krautrockig zu nennende Flächenelegien mit marschierenden 4/4-Drums und hypnotisch loopenden Gitarren fusioniert und so auch der (Neo)Cosmic-Posse zur Genüge gereicht. „Kollegenschwein“ hingegen kommt dem katalysiertem Wahnsinn ebenso gleich wie der überdrehte Easy Listening-Aspekt von „Der Ziegentreiber“ und dem etwas abstrakten „Fotoapparat“. Ein Album für die speziellen Momente des Lebens.

Doch hinter all dieser Trübnis wartet auch ein Silberstreif am Horizont – diesmal in Form des von Martin Scheer betriebenen und jüngst aus der Taufe gehobenen Berliner Labels Antime, welches dieser Tage seinen ersten 12“ Tonträger unter dem Namen „Antime V2“ in die Welt entlässt. Verortet zwischen verträumten DeepHouse-Elegien, Electronica- / (Neo)Cosmic-Referenzen und der dieser Tage obligatorischen Verneigung vor Future Garage kommen die sechs Tracks der Vinylversion von Abigail, Sebastian Dali, Owlet, Andreas Buchner, Midimum und dem von Audiolith's Stiff Little Spinner-Serie schon hinreichend bekannten Kalipo. Vor allem die epischen Breakdowns des Midimum-Openers „Junk Beach“ und die melancholiebehaftet angejazzten House-Pianos von Sebastian Dali's „Lady Marian“ gehören dieser Tage in jede gutsortierte Plattenkiste. Gelungener Start in eine leuchtende Zukunft.


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 07/2013

Mittwoch, 12. August 2020

THERE'S MORE TO LIFE THAN...

…Post... -whatever: PostDubstep, PostStep oder deren Derivate Skweee, Wonky und Aquacrunk, die mehr als maßgeblich zur Verwässerung eines Genres beitragen dessen kreativer Zenit in den Augen des Verfassers dieser Zeilen seit mehr als einem halben Jahrzehnt überschritten scheint. Und doch gibt es sie, die vereinzelten Ausnahmen in denen Dubstep als Ausdruck der urbanen Paranoia in seiner reinen, reduzierten Form auch dieser Tage noch seinen Weg via 12“ Vinyl auf die Plattenteller der Clubs findet.

So zelebriert beispielsweise Infra auf seiner im April erschienenen „Inside The Cold Mountain EP“ auf F4TMusic ein beklemmendes, hyperskelettiertes SciFi-Szenario in drei Akten, das in seinen grossen Momenten ein ähnliches Schaudern hervorruft wie zuletzt Distance anno 2007 mit seinem via Planet µ erschienenen Werk „My Demons“. Gerade der Titeltrack mit seiner nahezu statischen Sinusbassline und das futuristische „Propulsion“ bestechen durch ihre Fokussierung auf athmosphärische Dichte ohne sich in unnötiger Effekthascherei zu verlieren. Purismus für die dunklen Stunden der Nacht.

Auf ähnlich geartetem Terrain bewegen sich überraschenderweise auch Ulterior Motive mit ihrem auf Metalheadz veröffentlichten „Elephant Tune“, der als statischer SciFi-Roller den Sound des nie zu vernachlässigenden Labels in Richtung Dubstep öffnet, während das A-seitige „Right Here“ die Drum'n'Bass-Szene vermittels tiefgehend-verführerischer Female Vocals, schwarztunnelnder Basslines am unteren Ende des hörbaren Spektrums und konsequent klapperndem Beatfeuer aufmischt. Funktioniert nur auf wirklich exzellent eingestellten Anlagen und fordert per se einen zweifachen Rewind. Killer.

Selbst der seit geraumer Zeit aus meinem persönlichen Fokus verschwundene Skream sorgt dieser Tage wieder für Überraschungen, hebt doch „Kingpin“ - eine Studiokooperation mit DJ / Producer Friction sowie den Grime-assoziierten MCs P Money, Scrufizzer und Riko Dan – das noch recht frische Drum'n'Grime-Genre auf ein neues Level und liefert allen DJs eine massive Hymne für jeden Rave, gegen die der flipseitige Calyx & Teebee Remix trotz unbestrittener Dancefloor-Funktionalität doch wesentlich abfällt.

Seit jeher in Future Garage-Gefilden verortet ist das von Doc Daneeka betriebene Imprint Ten Thousand Yen, das dieser Tage mit seiner siebten Veröffentlichung aufwartet. Verantwortlich für beide Tracks der 12“ zeichnet Xxxy, der mit „Progression“ einen Synthie-beladenen Crossover zwischen TechHouse und eben genanntem Future Garage liefert, während „Thinking 'Bout“ mit elektroidem Swing dem neuzeitlichen Garage-Sound alle Ehre macht, durch perfekt bearbeitete Vocal-Snippets betört und natürlich auch im unteren Bassbereich ordentlich drückt. File under: 23rd Century Swing.


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 06/2013