Mittwoch, 25. November 2020

Den Ishu - High U Gonna Feel [Supernature 022]

DeepHouse. Filter. Funk-Lick. Vocal. Und das Ganze dann gedehnt auf 8 Minuten und n büschen, wie mensch in Hamburg zu sagen pflegt. Schön. Auch, weil in der Form und Konsequenz lange nicht gehört. Wäre bei mir vor 10 Jahren wahrscheinlich gnadenlos durchgefallen aus den anfangs genannten Gründen, kassiert jetzt aber wegen einsetzender Altersmilde und einer immer stärker werdenden Sehnsucht nach kleinen, intimen, rotplüschigen Clubs mit eigenständigem Booking, eingespielten Residents und ohne Fremdveranstalter im Boot zusätzliche Sympathiepunkte. Ausserdem stehen auf Grund meines recht angeschlagenen Seelenzustandes traurig-verhallte Moll-Pianos – Atavism-Remix! – hoch im Kurs, ebenso wie sehnsuchtsvoller EmoHouse. Mag ich.

9/10 Points

Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012

Mittwoch, 18. November 2020

Sean Roman - The Moan EP [Fest Records 001]

Erst die Parties, dann das Label. Interessantes Konzept, das die übliche Reihenfolge gnadenlos umdreht und jetzt mit Sean Roman's „Moan EP“ die erste Katalognummer auf die Welt loslässt. Dahingestellt sei jetzt einmal, ob die Welt jetzt wirklich noch eine Platte mit harmlos-melodischem, aber durchaus solide vor sich hin groovendem TechHouse braucht, zweifelsohne erfüllen aber sowohl „Moan“ als auch „Bocuse“ die Mindestansprüche für ebensolchen und halten die Meute auf der Tanzfläche – sowohl im Club als auch auf diversen sommerlichen OpenAirs in Mecklenburg-Vorpommern oder wo auch immer. Gleiches gilt auch für die Remixes von M A N I K – wer denkt sich eigentlich in Zeiten von Google freiwillig so eine Schreibweise aus, ausser heroinabhängigen WitchHouse- und ChillWave-Projekten? – und Waifs & Stray, denen zwar die Funktionalität gut zu Gesicht steht, aber von Rezensentenseite doch die Forderung nach „Mehr Mut!“ auslösen. Gute Ausführung, aber eben auch nicht zwingend mehr.

6/10 Points

Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012

Mittwoch, 11. November 2020

Reptile Youth - Speeddance [HFN Music 013]

Wenn eine Band ohne eine einzige Veröffentlichung im Gepäck Europa und Asien betourt, Clubs in chaotisch-energiegeladene Moshpits verwandelt und dabei Fans einsammelt wie ein für den Winterschlaf hamsterndes Eichhörnchen gibt es im Regelfall nur zwei konträre Erklärungen – total überbewerteter Hype oder aber echtes Potential. Im Falle der Reptile Youth trifft glücklicherweise letzteres zu und deshalb ist „Speeddance“ mit seiner Fuck-Noise-Disco-Attitude, dreckig-verschwitztem Basslauf und den „wir können gar nicht anders als mitbrüllen“ Vocals der heisseste Anwärter für die IndieElectroGrunge-Hymne des kommenden Sommers, wenn nicht des ganzen noch recht jungen Jahres. Von IndieKid bis zum RavePunk kann sich jeder auf „Speeddance“ einigen, ohne dass die verrückt gewordenen Dänen auch nur den Hauch eines Kompromisses eingehen müssen. Stattdessen wird mit dicken Eiern und grossem Selbstbewusstsein auf der B-Seite der 7“ noch eine Coverversion von Deathcrush nachgeliefert, die sich zwischen Homerecording-Ästhetik, Genialen Dilletanten, einer aus dem Ruder gelaufenen Faust-Session, eimerweise Noise und Oval’schem CD-Skippen bewegt. Die spinnen doch alle.


10/10 Points

Gastreview für Fazemag, Ausgabe 04/2012

Sonntag, 1. November 2020

THERE'S MORE TO LIFE THAN...

...Weihnachten. Während der Normalbürger sich zwischen Konsumrausch und Strassenkrieg zum Jahresende den kleinen und grossen Dramen im Kreise der Familie und / oder der Lieben widmet und der halbwegs musikinteressierte Mensch sich wieder – und zu Recht – über die Ergebnisse ungezählter Jahrespolls echauffiert, nutzt der Schreiber dieser Zeilen die angeblich besinnliche Zeit, um noch einmal ein paar zu Unrecht unterbewertete oder einfach übersehene Scheiben des letzten Jahres Revue passieren zu lassen. Es folgt: kein Jahresrückblick.

Beginnen wir mit der schon im Juli auf dem inselbritischen Label Peng Sound erschienenen „Gorgon Sound E.P.“ des gleichnamigen Projektes, die dank kompliziert verschachtelter Importumwege über Frankreich erst jüngst den Weg in hiesige Plattenläden fand. In schwerem Karton-Gatefoldcover auf 180 Gramm-Vinyl bedient diese E.P. die Freunde des haptischen Musikerlebnisses schon im Vorfeld des ersten Tons und entpuppt sich mit ihren vier Tracks als wahres Brett in Sachen klassischer Dub / DubHouse-Kultur. Mächtige, raumgreifende Analogbässe bilden das Gerüst für fordernde 4/4 Beats sowie Dub-typische Offbeat-Chords und Rimshots, zu denen auf zwei Tunes Junior Dread und Guy Calhoun verhallende Vocals beisteuern. Ansonsten regiert die Tiefe des Hallraums über die Reduktion auf absolut essentielle Elemente und genau darin besteht die grosse Kunst der originären Dubkultur, was diese 2x12“ zur absolut unausweichlichen Anschaffung macht.

Weiter geht es mit „Y“, dem zweiten und wieder in kompletter Eigenregie veröffentlichten Doppelalbum des deutschen Duos [aniYo kore], welches auch mit seinem neuen Werk der Errettung und Wiederbelebung des vocallastigen TripHop / Downtempo-Genres einen weiteren, riesigen Schritt näher kommt. Musikalisch der dunklen, gern auch am Schmerz des Lebens tief leidenden Moll-Tonlage auf skelettiertem Beatgerüst zugetan, öffnet sich das Soundspektrum der Band auf diesem Album weg vom Illbient-Ansatz hin zum, teils intim folkigen, Gitarren- und Basseinsatz und inkludiert partiell sogar Raps, ohne sich jedoch weit vom bekannten Grundton des charakteristischen [aniYo kore]-Sound zu entfernen. Nicht ausschliesslich, aber auch, empfohlen für Freunde von Portishead, Nicolette & Co. und in einer Auflage von 300 Exemplaren nur direkt über die Band zu beziehen.

Doch auch in puncto Wiederveröffentlichungen und Neuauflagen hielt das vergangene Jahr mehr qualitativ hochwertige Tonträger bereit als schriftlich in der ihnen gebührenden Länge diskutiert werden konnten. Beispielhaft für diesen durchaus begrüssenswerten Trend sei an dieser Stelle das via Mute / The Grey Area im November wieder zugänglich gemachte Cabaret Voltaire-Album „Micro-Phonies“ genannt, welches – noch einmal neu gemastert – nicht nur die nach wie vor zwingende Aktualität der bereits in 1984 veröffentlichten LP auf der Schnittstelle zwischen PostPunk-Elementen, Industrial-Resten, NuBeat und modernem Electro / ProtoTechno noch einmal neu vor die Augen einer damals noch ungeborenen Generation führt, sondern auch aus dem Fokus geratene Underground-Hits wie „Digital Rasta“, „Blue Heat“, „Spies In The Wires“ und das zu jener Zeit sogar gechartete „Sensoria“ hoffentlich wieder zurück auf die Tanzflächen der Welt bringt. Must have, weil geschichtsträchtig.


Gastkolumne für Fazemag, Ausgabe 02/2014